Kein Vergeben, kein Vergessen!

Aufflammender Antisemitismus

Dietrich Schulze-Marmeling über die Geschichte der Juden im Fußball

„Antisemitismus ist etwas, das man nicht besiegen kann. Man kann ihn reduzieren und eindämmen – aber nicht besiegen.“ Die Worte des renommierten Buchautors Dietrich Schulze-Marmeling klingen eindringlich. Rund 50 Zuhörer lauschen der Lesung, die der 58-Jährige im Fanraum des 1. SC 05, am Platz der Synagoge in der Oberen-Masch-Straße, hält.

Göttingen. In seinen Büchern, aus denen er rezitiert – unter anderem aus dem Fußballbuch des Jahres von 2011, „Der FC Bayern und seine Juden“ – beleuchtet Schulze-Marmeling ein Thema, über das lange Zeit geschwiegen worden ist.

„Man musste gewaltig kratzen, um an die Informationen zu gelangen“, verdeutlicht der Autor, während er über die Geschichte der Juden im deutschen Fußball spricht. Dabei zeichnet er hauptsächlich Einzelschicksale nach – von der Diskriminierung und Ausgrenzung zur Verbannung bis hin zur Ermordung.

Gottfried Fuchs beispielsweise erzielte bei den olympischen Spielen 1912 zehn Tore gegen Russland, musste aufgrund seiner jüdischen Herkunft aber schließlich ins kanadische Exil. Kurt Landauer wiederum wurde 1933 sein Amt als Präsident des FC Bayern München entrissen. „Die Bayern-Fans mussten sich dieser Geschichte annehmen und verstehen lernen, dass Landauer der Vater des modernen Bayern ist – und nicht etwa Uli Hoeneß“, so Schulze-Marmeling.

Einem Einzelschicksal ist auch das Denkmal gewidmet, das von der Supporters-Crew des 1. SC 05 an der Außenwand des Fanraums enthüllt wurde: Es erinnert an eines von fünf bekannten ehemaligen jüdischen Vereinsmitgliedern, den Kaufmannssohn Ludolf Katz. Ab 1918 Mitglied der Schwarz-Gelben, wurde Katz 1933 vom Verein ausgeschlossen. Das ihm gewidmete Denkmal soll als Mahnung verstanden werden, Verantwortung in der Gesellschaft zu übernehmen.

„Man wird sich im Leben nie zurücklehnen können“

„Es ist erschütternd, wie lange es dauert, bis die Ereignisse aufgearbeitet werden“, verdeutlichte Göttingens Bürgermeister Ulrich Holefleisch (Grüne). Entsprechend richtete er ebenso wie die Kultur- und Sozialdezernentin der Stadt Göttingen, Dagmar Schlapeit-Beck, seinen Dank und Respekt an die Vertreter des Fanclubs.

Noch viel erschütternder sind mit dem Wissen um die Geschichte viele Geschehnisse der Gegenwart: Denn während der Lesung wird deutlich, dass auch heute noch vielerorts Antisemitismus zu finden ist: Ob Itay Schlechter, der 2012 beim 1. FC Kaiserslautern von seinen eigenen Fans als „Drecksjude“ beschimpft wurde.

Ob Vereine wie Maccabi Frankfurt oder Maccabi Berlin, die sich auch heute noch Diskriminierungen konfrontiert sehen. Oder eine „völlig schockierende“ Szene, die Schulze-Marmeling selbst erlebte, als sich bei einem B-Jugend-Training Spieler gegenseitig als „Jude“ bezeichneten.

„Es gibt zwar die positive Entwicklung, dass man sich der Geschichte annimmt“, resümiert der Autor. „Aber zugleich gibt es eine negative, weil belegt ist, dass es wieder vermehrt Antisemitismus gibt.“ Einer der abschließenden Sätze von Schulze-Marmeling kann daher durchaus als Aufforderung verstanden werden: „Man wird sich im Leben nie zurücklehnen können“, sagt er, „weil Antisemitismus in bestimmten gesellschaftlichen Situationen immer wieder entflammen kann.“

Quelle: Göttinger Tageblatt vom 12.12.2014